Die Wiener waren allerdings nicht nur begeisterte Genießer, sondern auch begeisterte Zeitungsleser, vor allem, nachdem in der Stadt "das Licht angegangen" – und die staatliche Kontrolle abgeschafft worden war. Das geschah am 14. März 1848 mittels eines amtlichen Posters, auf dem verlautet wurde, dass "seine k.k. Apostolische Majestät die Aufhebung der Zensur und die alsbaldige Veröffentlichung eines Pressegesetzes allergnädigst zu beschließen geruht haben." Prompt brach ein Zeitungsgründungsfieber aus, das innerhalb eines Jahres mehr als 300 periodische Druckschriften zur Folge hatte – darunter seriöse Tageszeitungen wie "Die Presse", deren Konzeption, Aufmachung und Gestaltung einem französischen Vorbild folgte, aber auch so skurrile Boulevardblättchen wie eine Zeitschrift namens "Die Geheimnisse von Wien", die ihren interessierten Lesern skandalöse "News" aus der feinen Gesellschaft enthüllte.
Sein und Schein, Skandale und Skandälchen prägten allerdings nicht nur den Blätterwald, sondern auch das Wiener Baugewerbe. Es wurde vorgetäuscht, was nur vorzutäuschen war. Naturstein beispielsweise, der in Form von Simsen und Zierleisten, Perlenbändern und "laufenden Hunden" (Wasserwellen), Kymatien (Blätter) und Ochsenaugenbändern "gegossen" und von Architekten als Meterware geordert werden konnte. Oder falscher Marmor, der mittels "Stuccolustro" erzeugt wurde, einer Maltechnik, die billigen Gips wie teuren Kalkstein aussehen ließ. Die Wiener hatten nichts dagegen, von Meisterhänden hinters Licht geführt zu werden. Ihr Motto lautete – wie auch in vielen anderen Bereichen – schlicht, einfach und "echt wienerisch": Hauptsache, es kostet nicht allzu viel – und schaut trotzdem gut aus.
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