Sonntag, 22. Februar 2015

Aphrodisiakum für Nekrophile

Besonders deutlich wird das am Zentralfriedhof. Mit einer Fläche von 2,4 Quadratkilometern und mehr als 300.000 Gräbern, in denen 3 Millionen Menschen bestattet sind, ist er nicht nur die größte Begräbnisstätte Europas, sondern auch ein beliebtes Ausflugsziel. "Aphrodisiakum für Nekrophilie" nannte ihn André Heller. Und tatsächlich scheint sich niemand an der Präsenz des Todes (und der Toten) zu stören. Die parkähnliche Anlage gilt vielen Wienern als idealer Ort zum Spazieren und zum Flanieren, als perfekter Treffunkt für intime Rendezvous oder sommerliche Picknicks mit Kind und Kegel. Man labt sich vor den Friedhofstoren an Würstelständen, kauft beim Blumenhändler den obligaten Sonntagsstrauß für die Frau Mama und kommt mit ein wenig Glück noch gratis in den Genuss höchster Kunst. Dann nämlich, wenn sich Philharmoniker und Chorsänger aus der Staatsoper am Rand offener Gräber mit schmalzigen "Averln" (Gounods "Ave Maria") oder gestrichenen Trauermärschen etwas dazu verdienen.
Selbst gejagt wird zwischen Kreuzen, Grabsteinen und Laternen: Jeden Herbst pirscht die Simmeringer Jägerschaft über den Zentralfriedhof und sorgt dafür, dass die Zahl der Hasen und Fasane nicht überhandnimmt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen